Es ist Sonntagnachmittag am 15. September 2019 und Bernd Weich läuft begleitet von Sebastian Ambros irgendwo auf das Gelände eines kleinen Tennisplatzes im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen nur wenige Meter von dort entfernt, wo das Kilometer für Kids Team seine Reise knapp 60 Stunden und 620 Kilometer vorher begann.
Als das letzte Duo nach über 60 Wechseln bei Tag und Nacht die Ziellinie in Frankfurt überquert, reißt Bernd freudestrahlend seine Arme hoch und segelt über die imaginäre Ziellinie, an welcher der Großteil des verbliebenen Teams und Familien applaudierend wartet. WIR hatten es tatsächlich geschafft! Einmal zu Fuß als Staffel rund um Hessen über die Starke Städte Route, welche uns durch die 13 bedeutendsten Großstädte des Bundeslandes geführt hatte. Doch nicht nur diese boten uns an diesem Wochenende ihre beste Seite; auch die vielfältigen Naturgebiete ließen uns wieder einmal erkennen, wie wunderschön unsere Heimat ist.
Tag 1: Aus der Großstadt, über den Spessart durch die Rhön
„Es gab nur wenig Schlaf, aber dafür umso mehr Vorfreude auf das sportliche Abenteuer, was uns bevor stand…“, sagt Christian Weich im Rückblick, „schon um 5:00 Uhr starteten wir die Aktion vom Römerberg in Frankfurt, über Hanau, um bei aufgehender Sonne das erste Natur-Highlight der Tour vor uns zu haben: der Spessart“. Im Laufe des Freitags war aus der morgendlichen Rumpftruppe fast das gesamte Team aus allen Himmelsrichtungen angereist.
Die Bodenseetruppe mit Carmen, Christian, Horacio, Jürgen, Valentin und Susanne, sowie Peter und Steph. Hinzu kamen Bernd, Kevin, Fabian und Dennis aus Trier, in der Nacht Clemens aus Frankfurt. Nachdem die Tour sich nach und nach nordwärts bewegte und alle immer wieder ihre vorgegebenen Zeiten überbieten konnten, hatten wir, als die Sonne bei Bad Hersfeld unterging, sogar einen kleinen Vorsprung rausgelaufen. Doch wir wussten, dass die erste Nacht oftmals die schwierigste wird: Es fehlt noch etwas an Routine, da es für einige die erste Teilnahme bzw. der erste Laufabschnitt überhaupt war. Und so kam es, wie es kommen musste: Carmen und Horacio treffen mitten in der Nacht in einem Waldstück hinter Kassel auf eine Sperrung mit der Warnung „Betreten verboten!!“. Nach minutenlanger Planänderung und der großartigen Hilfe des Orgateams Tobi und Stefan konnte die Situation zwar super gelöst werden, doch es blieb dabei viel Zeit auf der Strecke. Aber auch dies und die zunehmende Kälte im Norden Hessens lies unseren Trupp nicht aufhalten und wir liefen noch immer top motiviert auf eines der Highlights des zweiten Tages zu: der Nationalpark Kellerwald-Edersee.
Tag 2: „Christian, was tun, …also ich würde ja da rüber schwimmen, aber, naja, schwierig und seit zwei Tagen fährt die Fähre nicht mehr?!“
So schön die Reise bisher lief, so gering die Probleme und so hoch die Motivation – Tag 2 wies uns schon früh am Morgen in die Schranken! Geplant war es den großen, wunderschön gelegenen Edersee im Nord-Osten Hessens mit einer kurzen Fährfahrt zu überqueren, um die Reise im Anschluss weiter südlich in Richtung Marburg, Gießen und Wetzlar fortzusetzen. Jedoch als Clemens und Steph dort ankamen, wurde beiden schnell klar, dass die Fähraktivität für 2019 nur wenige Tage zuvor eingestellt worden war! Schnell musste das Orga Team, tagsüber meist Christian und Carmen, reagieren, da die einzige Möglichkeit wieder auf die Laufstrecke zu kommen, eine Seeumrundung war. Clemens zögerte nicht lange und begann gleich den Weg radelnd auf sich zu nehmen, während das Team Steph am Seeufer einsammelte und Dennis bereits ohne Navigation auf seinen nächsten Abschnitt geschickt wurde, der zum Glück nur entlang des Flusses Eder führte, an dem er sich bis Frankenberg gut orientieren konnte. Dort angekommen sammelte sich bei schönstem Sonnenschein die halbe Staffel beim nächsten Wechselpunkt, um alle aktiven auf den aktuellen Stand zu bringen. Als unser Läuferduo Jürgen und Peter in hohem Tempo dort ankamen, teilten sie uns nicht nur mit einige Höhenmeter mehr als geplant gelaufen zu sein, nein auch, dass unser bisher stabiles Navi gerne eine Pause hätte! Dies war nun zunächst nicht weiter schlimm. Da wir mit technischen Problemen gerechnet hatten, hatte Christian ein Ersatznavi programmiert, welches im Notfall die Zeit überbrücken konnte, bis das Hauptgerät wieder tauglich war. Also nichts wie weiter, Carmen und Susanne, unser nächstes Duo, liefen schwungvoll in Richtung Marburg, während der Rest des Teams sich eine wohlverdiente Mittagspause gönnte. Zumindest bis Christian nach wenigen Minuten die Gabel aus der Hand fiel, als er sah, dass die beiden offensichtlich zurück nach Edersee unterwegs waren. Das Ersatzgerät zeigte zwar den Weg an, war aber ein älteres Modell, welches nicht darauf hinwies, dass man entgegen der geplanten Route unterwegs ist. Kaum war die morgendliche Verwirrung am See geschafft, sprang Christian, mittlerweile begleitet von Katrin und Sebastian, auf und nahm per Funk Kontakt zum Begleitrad (Carmen) auf, um ihnen die Fehlleitung klarzumachen. Auch hier blieb uns keine andere Wahl, als die beiden einzusammeln und am nächsten Punkt wieder abzusetzen, um dort mit dem Folge-Duo Susanne und Sebastian unsere Reise fortzusetzen.
„Zu diesem Zeitpunkt war ich am Samstag noch keinen Kilometer gelaufen, war aber schon so fertig, wie nach einem Marathon!“, stöhnte Christian, der sich in Folge dessen erst mal eine Stunde in sein mit Matratze präpariertes Auto legen musste. Währenddessen setzten Läufer und Radfahrer, mit wieder funktionierendem Navi, ihre nun schon fast 400 Kilometer lange Reise weiter südlich fort. Schon jetzt war klar, welch eine großartige Teamleistung dies werden würde, nicht nur sportlich, sondern auch zwischenmenschlich schaffte es die Staffel sich zu keinem Zeitpunkt hängen zu lassen. Im Gegenteil, wenn zum Beispiel ein Läufer einen Teilabschnitt wegen Verletzung auslassen musste, zögerten die anderen nicht lange und sprangen ein, um weitere 10 Kilometer auf sich zu nehmen und dem gemeinsamen Ziel näherzukommen. Als das Team die Sonne am Abend zwischen Marburg und Gießen, entlang der Lahn, zum zweiten Mal untergehen sah, hatte sich die Mittagshektik wieder etwas gelegt und es lief wieder, im wahrsten Sinne des Wortes. Noch immer rannten wir teilweise deutlich unter unseren angegebenen Kilometerzeiten, um die verlorene Zeit etwas einzuholen.
Der letzte Tag – Wellig im Taunus – flach am Main
Die Nacht erwies sich etwas sanfter als die vorherige – vielleicht weil wir mittlerweile auchetwas routinierter geworden waren, aber sicherlich auch wegen des Orga-Teams, nachts Tobias und Stefan, die auf ihre jahrelange Kilometer für Kids Erfahrung zurückgreifen konnten. „Egal wie hektisch es wird“, sagt Christian, „Tobias und Stefan bleiben ihrer Art entsprechend einfach cool und wissen immer genau, was zu tun ist. Das hilft allen enorm und ist ganz sicher einer der wichtigsten Teile des Erfolgs einer solchen Aktion!“. Lediglich kleinere technische Schwierigkeiten, eine fehlende Brücke, die umlaufen oder eine Route, die es nicht mehr gab, die kletternd überwunden werden musste, brachten das Team bis zum Sonnenaufgang über Wiesbaden aus dem Tritt. Doch ab hier war klar, dass es „nur“ noch 100 Kilometer bis zurück nach Frankfurt waren, auch wenn mittlerweile fast alle Sportler schon weit über 50 Kilometer in ihren Beinen hatten. Aber auch von muskulären Problemchen ließ sich die wirklich starke Staffel nicht bremsen! Die Kilometer ab Wiesbaden, durch Rüsselsheim, Darmstadt zurück nach Offenbach vergingen im Flug, wo wir dem letzten Lauf-Duo Bernd und Sebastian nach nun schon weit über 600 !!! , ja 600!!! Kilometern zum letzten Mal den Staffelstab in die Hand gaben, ehe diese schon bald von weitem die Frankfurter Skyline, diesmal im Hellen und bei wunderbarem Spätsommerwetter vor sich sahen.
„Die fünfte Ausgabe von Kilometer für Kids liegt nun hinter uns und ich bin zum ersten Mal wirklich sprachlos! Ich habe in den vergangenen Jahren in allen Bereichen meines Berufs (Sportwissenschaftler) viel Fleiß, sportlichen Ehrgeiz, Teamwork und unglaubliche Willensleistungen gesehen, aber diese 60 Stunden haben alles übertroffen. Alle waren von einer Leidenschaft infiziert, gemeinsam durch topographische, aber auch mentale Höhen und Tiefen zu gehen – das hat mich enorm beeindruckt und dies werde ich niemals vergessen. Ich wünsche mir sehr, dass allen Teilnehmern, egal in welcher Funktion, diese Zeit für immer in Erinnerung bleibt. Dass jeder auf seiner Reise durch das vielfältige Hessen seinen persönlichen und auch gemeinschaftlichen Sinn gefunden hat und wir uns auch 2020 wieder für Kinder und Jugendliche unserer Heimat sportlich engagieren werden! Wir konnten mit unserer Aktion gemeinsam über 6 Euro pro Kilometer erlaufen, um krebskranke Kinder zu unterstützen. Danke für Euren Einsatz!“