Zu welchem Thema schreibt ein Sportwissenschaftler wohl eine Doktorarbeit? Auch meine Teilnehmer wollten selbstverständlich eine schlüssige Erklärung, warum sie teilweise mehrere Stunden auf dem Radergometer oder dem Laufband mit kleinen Sensoren ausgestattet aktiv sein sollen. Warum all diese Daten? Wozu Abertausende von Schritten und Trittzyklen aufzeichnen und im Anschluss stundenlang am PC anstarren? Dabei sollten doch vor allem zyklische Bewegungen, wie die des Radfahrens oder Laufens, doch immer gleich aussehen? Doch hier liegt die Krux – kein Schritt gleicht dem anderen!

Keine Bewegung machen wir so häufig wie Geh- oder Laufschritte. Die natürlichste aller Fortbewegungsarten ist seit unserem ersten Lebensjahr in Fleisch und Blut übergegangen und doch gleicht niemals ein Schritt dem anderen. Dennoch stellt sich niemand die Frage, wie diese Bewegung und die damit verbundenen Abweichungen eigentlich zustande kommen. Mit genau dieser Fragestellung beschäftigte ich mich in meiner ersten Veröffentlichung, dem Grundlagenpaper „The kinematics of cyclic human movement“.
Die theoretische Grundlage: Hier geht es auf über knapp 20 Seiten sehr mathematisch zur Sache. Wir zerlegen die einzelnen menschlichen Geh-und Radfahrbewegungen in die einzelnen kinematischen (also ohne Einfluss von Kraft) Bestandteile des Attraktors an sich, Morphing, kurzzeitige Fluktuationen, den Transient Effekt, einen Kontrollmechanismus und das technische Rauschen, welches durch die Sensoren erzeugt wird. Ohne ins Detail der einzelnen Einflüsse zu gehen, spielt der eigentliche Attraktor hier die größte und entscheidende Rolle. Alle weiteren physiologischen und zufälligen Elemente modifizieren ihn, mal mehr, mal weniger. Das Endprodukt ist für jede Person eine Art Mittelwert der Laufbewegung, wie ein Fingerabdruck des Gehens. Aus diesem Grund bezeichnen wir diesen auch als „Gaitprint“ (engl. etwa Gangabdruck), was uns zum Inhalt meiner ersten Anwendungsarbeit führt.

Dieses beschäftigt sich mit der Frage, ob gehende oder laufende Personen allein auf Basis der jeweiligen Fortbewegung erkannt werden können. In einer Studie mit 30 erwachsenen Läuferinnen und Läufern, konnten wir zeigen, dass diese nur anhand ihrer Laufbewegung (aufgezeichnet mit Beschleunigungssensoren am Sprunggelenk) erkannt werden konnten. Die falsch positive Identifikation lag hierbei bei lediglich 1.3 %.

Neben der Identifikation spielen vor allem auch mögliche temporäre Einflüsse eine Rolle, wie der sogenannte „Transient Effekt“, einen Einschwingvorgang, der zu Beginn der zyklischen Aktivität auftreten kann. Ein Gefühl, was der regelmäßige Läufer oftmals was unrhythmisch beschreibt, welches aber nach ein bis zwei Kilometer wieder verschwindet. Der Sportler hat dann, wie man so oft hört, „seinen Rhythmus gefunden“. Auch wenn dies sicherlich auch von anderen physiologischen Variablen abhängt, machen die Daten in meiner zweiten Anwendungsstudie genau diesen Effekt sichtbar. Im Verlauf von bis zu zehn Minuten wird der Effekt in Form eines gedämpften Oszillators eingependelt, was auch mit der Beschreibung der Athleten entspricht, dass sie nach dieser Zeit ihren „persönlichen Laufstil gefunden haben“.

Die finale Publikation, die im Rahmen der internationalen Skisport Konferenz (in Vuokatti, Finnland 2019) erarbeitet wurde, beschreibt die Anwendung der Attraktor Methode im Skilanglauf. Für diese Arbeit verbrachte ich drei Monate im Winter 2018 in den USA an der Northern Michigan University in Marquette bei meinem Zweibetreuer Prof. Jensen. Das Hauptergebnis dieser kooperativen Arbeit war, dass unsere Methodik es ermöglicht, generell zwischen den beiden Haupttechniken im Langlauf (V1 und V2) zu unterscheiden. Durch unsere Software ist es ebenso möglich, Gruppen- und Individualunterschiede sichtbar zu machen, welche dem arbeitenden Wissenschaftler oder Trainer technische Analysen erleichtern können.

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